Wasserschloss Heerse, ehemalige Residenz des kaiserlichen, hochadligen, freiweltlichen Damenstiftes Neuenheerse

Wo Eisbär und Löwe sich “Gute Nacht” sagen. Führung durch Naturkundeausstellung und Schloss für Mitglieder des VfG am 16.11.2012

In der Tat, man konnte sich schon ein Stück weit in die Savannen und Steppen Afrikas versetzt fühlen, wenn man Auge in Auge mit schwarzen Büffeln und Löwen stand. So nah wie wir im Naturkundemuseum kommt man selbst im Zoo nicht an Wildtiere heran, bekommt auf diese Weise ein Gefühl für die Mächtigkeit mancher Tiere und die relative Schwäche des Menschen – wenn da halt nicht die Feuerwaffe wäre. Wenige Meter weiter war davon schon wieder kaum noch etwas zu spüren und der Blick richtete sich eher ehrfürchtig hinauf in die Gesichter stolz aufrecht stehender Eis- und Braunbären. Irgendwo dann auch noch ein ausgewachsener Elch, übermannsgroß, mit seinem gewaltig ausladenden Geweih. Zoologische Begegnungen der besonderen Art waren angesagt, als Teilnehmer unserer Mitgliederversammlung 2012 und weitere interessierte Gäste einen Teil des Wasserschlosses Heerse und der darin untergebrachten Sammlungen besichtigten.

Beim Wasserschloss Heerse, gleich gegenüber der im Volksmund „Eggedom“ genannten ehemaligen Stiftskirche in Neuenheerse, einem Ortsteil von Bad Driburg, gelegen, handelt es sich um die ehemalige Residenz des kaiserlichen, hochadeligen, freiweltlichen Damenstiftes Neuenheerse. Das Leben der Stiftsdamen war in erster Linie auf Gebet und gemeinschaftlichen Gottesdienst sowie auf die Verrichtung guter Werke hin ausgerichtet.

Das erste Kanonissenstift an dieser Stelle wurde bereits im Jahr 868 durch den Paderborner Bischof Luithard und seine Schwester Walburga gegründet, die auch erste Äbtissin wurde. Drei Jahre später wurde es durch Kaiser Ludwig („der Deutsche“) mit Immunitätsrechten und Privilegien unter Reichsschutz gestellt. Das Wasserschloss, der heutige Bau, wurde in den Jahren 1599 bis 1603 erbaut. Es steht im Gebiet der Nethequelle und wird von deren Quellwasser in Form einer Gräfte umgeben. Es handelt sich um eine zweiflügelige Anlage in der Bauform der Weserrenaissance mit einem rechteckigen Treppenturm im Gebäudewinkel, die 1903 erweitert und aufgestockt wurde. Nach der Aufhebung des Stiftes wechselte das Gebäude mehrfach den Besitzer. 1810 wurde das Stift aufgehoben. (Eine eingehendere Beschäftigung mit der Geschichte von Personen, Anlagen und Bauwerken würde den Rahmen dieses Textes weit überschreiten und wird der Eigenarbeit anheimgegeben.)

„Was wollen Sie denn vorrangig sehen? Für alles reicht die Zeit bei weitem nicht, dafür bräuchten wir einen ganzen Tag!“, machte uns Herr Joseph Lammers gleich bei der Begrüßung die Dimension der „Vereinigten Museen“ deutlich, die die „Kulturstiftung Generalhonorarkonsul Manfred O. Schröder und Helga Schröder im Wasserschloss Heerse A.D. 1599“ beherbergt. Themen der Sammlungen sind Naturkunde, Jagdkultur, Ethnographie, Kolonialgeschichte, Europäisches Kulturgut, Preußen und natürlich die Stiftsgeschichte.

20.000 Exponate finden hier auf 2.500 Quadratmetern Fläche Platz. Nicht alles passt in das Wasserschloss. Teile der Ausstellungen sind in angrenzenden Gebäuden oder auch im Freien untergebracht. So kommt es, dass der Besucher gleich am Eingangstor von einem großen Schiffsanker und einem in Richtung Gräfte zielenden Kanonenrohr mit der Inschrift „1812“ empfangen wird. Ein Schuss aus der Kanone, der zum Glück die dazu nötige Lafette fehlt, hätte, so wie sie dort steht, kaum einen anrückenden Feind bedroht, eher schon ein respektables Loch in die Außenwand des Schlosses geschossen. Des Rätsels Lösung: Es handelt sich um einen dekorativen, völlig friedfertigen Wasserspeier für die Gräfte!

Zu verdanken ist die große Anzahl von Exponaten der Sammelleidenschaft des weit in der Welt herumgekommenen heutigen Schlossherrn, Generalhonorarkonsul Manfred O. Schröder und seiner Ehefrau Helga Schröder. Ergänzt wurden die von ihnen gesammelten Gegenstände durch Geschenke befreundeter Staatsmänner oder auch befreundeter Stammesfürsten.

In der naturkundlichen Abteilung wird eine der weltweit größten Sammlungen von Großsäugetieren gezeigt. Die ethnographische Sammlung zeigt das Kunsthandwerk aus zahlreichen Ländern der Erde: Masken, Figuren, Kultgefäße, Schnitzereien und Textilkunst aus vier Erdteilen sind zu bestaunen.

Im Museum für europäisches Kulturgut gibt es Gegenstände und Geräte aus alter Haus- und Landwirtschaft, aus Handwerk sowie aus dem häuslichen Bereich zu sehen.

Alles in allem also viel zu viel für das zeitlich kurz bemessene Vorprogramm zu unserer Mitgliederversammlung. Auf Herrn Lammers oben zitierte Frage einigte sich die Gruppe schnell darauf, dass eine Besichtigung der naturkundlichen Ausstellung, mithin ein Besuch „bei Eisbär und Löwe“, wünschenswert sei.

Nach einer kurzen Einführung in die Entstehungsgeschichte der Sammlungen im Erdgeschoss des Treppenturms ging es in die beeindruckend vielfältige Sammlung von Tieren und Jagdexponaten und –trophäen. Raum um Raum, verteilt über mehrere Stockwerke, ist gefüllt mit mustergültig präparierten Tieren. Lebensgroße Gazellen, Antilopen, teils mit imposant geschwungenen, teils auch schon Furcht einflößenden Hörnern stehen dort neben ihren Fressfeinden wie Löwe und Gepard. Der Gepard, schnellstes Land-Raubtier der Welt, stellt im Schloss allerdings keine Geschwindigkeitsrekorde mehr auf, da er sich umständehalber das Jagen seit einiger Zeit abgewöhnt hat. Hinter ihm in trauter Eintracht seine Beutetiere, die man in freier Wildbahn so ruhig und eingehend niemals betrachten könnte. Dahinter wiederum hängen inhaltsleere Schlangen (-häute) und Löwen (-felle) an der Wand. In einem anderen Raum stehen zwei der als „Afrikas Wüstensöhne“ bezeichneten Großkatzen auf Steinsockeln und scheinen sich an der für unsere Gruppe plötzlich eingeschalteten Raumbeleuchtung zu stören. Auch uns, wie jede andere Besuchergruppe, versucht Herr Lammers etwas aufs Glatteis zu führen: „Welches der beiden ist wohl das männliche Tier?“ Natürlich tippen fast alle auf das Tier mit der deutlich größeren Mähne. Richtig – und trotzdem falsch! Wer unsere Führung mitgemacht hat, weiß jetzt, dass beide Tiere Männchen sind. Der eine stammt aus Regionen, in denen es nächtens empfindlich kalt werden kann, der andere aus einer eher gleichmäßig feucht-warmen Gegend, in der der imposante Kopfputz des Kollegen das Wohlbefinden und das Leistungsvermögen bei der Jagd stören würde. Man fragt sich unwillkürlich, warum in den nachtkalten Regionen trotzdem nur die Männchen eine wärmende Mähne tragen. „Alles Wissen und alle Vermehrung unseres Wissens endet nicht mit einem Schlusspunkt, sondern mit Fragezeichen.“ (Zitat Herrmann Hesse) In diesem Sinne verließen wir nach einer guten Stunde mit vielfältigen neuen Eindrücken, Erkenntnissen und vielleicht mit mancher neuen Frage das Wasserschloss.

Aus den Jagdgründen von Löwe und Eisbär ging es zurück über die Gräfte (bei Temperaturen, die fast schon das leibhaftige Auftauchen des Letztgenannten befürchten lassen konnten) zum Vortragssaal, wo sich die Mitgliederversammlung des Vereins für Geschichte an der Universität Paderborn e.V. anschloss.

Für diejenigen, die nicht dabei waren und neugierig geworden sind oder dabei waren und Schloss und Sammlungen nochmals mit mehr Zeit besuchen möchten, hier die Adresse:

Wasserschloss Heerse, Stiftsstraße 2, 33014 Bad Driburg – Neuenheerse, Besichtigungstermine unter Tel.-Nr. 05259 – 930333, Internet: www.wasserschloss-neuenheerse.de, E-Mail: ms@schloss-heerse.de

Text: Heiner Polten

Westfälische Biographien