Das Osmanische Reich: Großmacht zwischen Abendland und Orient von Michael Wittig erschienen
„Das haben Sie nicht umsonst studiert. Daraus mache ich noch ein Schulbuch.“ Das habe ich den Studierenden gesagt, als ich 2019 meine Lehrtätigkeit an der Universität Paderborn beendet habe. Die meisten von ihnen waren Lehramtskandidatinnen und Lehramtskandidaten; viele dieser Studierenden haben über mehrere Semester, mehr als die Pflicht verlangte, die Veranstaltungen über die Geschichte des Osmanischen Reiches besucht. Viele von ihnen hatten auch familiäre Wurzeln in dieser Region.
Mich hat diese Geschichte so fasziniert, weil wir hier die Fortsetzung der uns aus der Schule bekannten Geschichte und Kultur des Römischen Reiches erleben, unter den geänderten Bedingungen einer sich verändernden Bevölkerungsstruktur – ein sehr aktuelles Thema auch in Deutschland heute, mit all den Verstrickungen, Ähnlichkeiten und Abgrenzungen. Eine Besonderheit der Geschichte des Osmanischen Reiches war ein Modell für ein erfolgreiches Zusammenleben der verschiedenen in ihm wohnenden Völker, das über weite Strecken seiner Geschichte funktioniert hat. Es gab Zeiten, in denen viele Menschen in Europa die Kultur der Osmanen bewundert haben, eine Fahrt mit dem Orientexpress galt als Traumreise.
Umso mehr hat es mich gefreut, dass die Herausgeber der Schulbuchreihe EinFach Geschichte … unterrichten beim Westermann Bildungsmedien Verlag, die Herren Marco Anniser und Oliver Satter, die Idee gleich aufgegriffen haben; wir standen die ganze Zeit über mit letzterem in direktem, stets aufmunterndem und hilfreichem Kontakt. Unterstützung haben wir auch erfahren von dem Redaktionsteam im Verlag unter der Leitung von Frau Julia Wolff.
Gefreut hat mich ebenfalls, dass meine Tochter Mafalda, die gerade am Ende ihres Lehramtsstudiums stand, bereit war, mit mir zusammenarbeiten; sie hat letztlich den methodisch-didaktischen Teil verantwortet. Besondere Anliegen waren ihr, einen fächerübergreifenden Unterricht anzuregen, sowie die Aufgaben so zu gestalten, dass sie zu dem je individuellen Leistungsniveau einer Schülerin, eines Schülers passen. Dabei geht es nicht um Methoden/Moden, sondern um das Wissen, dass jeder Mensch ein Individuum ist, mit je eigenen Stärken und seiner Art des Herangehens an einen Inhalt. Die Schule ist der Ort, um auch das Umgehen damit zu erlernen, zu erfahren, dass der Austausch einen Zugewinn bringen kann für den Einzelnen und die Gesellschaft.
Das Coverfoto des Schulbuches zeigt die Haghia Sofia, Inbegriff einer kultur- und glaubensübergreifenden Geschichte. So verweist der Bau der „Kirche der Heiligen Weisheit“ allein schon vom Namen her auf die griechische Geschichte am Bosporus und in Kleinasien, beginnend mit Byzas, dem Anführer einer Auswanderergruppe aus Griechenland, die hier als erste am Zugang zum Schwarzen Meer eine Siedlung bauten. Ihnen folgten der Römische Kaiser Konstantin, der die Stadt an der Schnittstelle zwischen Europa und Asien zur Hauptstadt des Römischen Reiches machte, und sein Nachfolger Kaiser Justinian, der den Prachtbau der Großkirche als Ausdruck einer weltumspannenden Herrschaft baute. Und schließlich Mehmet, der sich als Eroberer der Stadt in die Reihe der Römischen Kaiser stellte, als Herrscher über ein Reich mit überwiegend christlicher Bevölkerung. Als Zeichen des muslimischen Glaubens baute er über den Ruinen der seit dem vierten Kreuzzug, der Eroberung Konstantinopels durch christliche Ritter aus dem Westen, zerstörten Apostelkirche die Eroberer-Moschee, mehr als ein Bau für Gebete, ein Komplex mit Bildungseinrichtungen, einem Hospiz, einer Armenküche und einem öffentlichen Bad. Erst im 16. Jahrhundert änderte sich das Verhältnis von Christen zu Muslimen im Land, nachdem Sultan Selim die Grenze zu den Persern gesichert und damit zugleich den Unterschied zwischen Sunniten und Schiiten zu einem Politikum gemacht hatte; anschließend konnte er Syrien, Ägypten und den Hedschas erobern, womit er nicht nur den für Muslime heiligen Ort Mekka unter seine Kontrolle brachte, sondern sich v.a. durch die Araber die Muslime im Reich zur Mehrheit avancierten. Mit dem millet-System, der Gliederung der Bevölkerung nach Religionsgemeinschaften, die sich selbst verwalteten, hatte dieser Vielvölkerstaat ein wesentliches Unterscheidungskriterium gegenüber dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, aber auch gegenüber dem Habsburger oder dem Russischen Reich. Eine spannende Geschichte, die es wert ist, erzählt zu werden, sich mit ihr auseinanderzusetzen. Das Buch hat mit seinem Thema (bisweilen) ein Alleinstellungsmerkmal in der Reihe der deutschen Schulbücher.
Michael Wittig