Die Kriegsjahre festgehalten im Tagebucheines Paderborner Ortsgruppenleiters
Nicht alle Parteifunktionäre der NSDAP waren stramme Nazis. Das machen die Tagebuchaufzeichnungen des damaligen Paderborner Ortsgruppenleiters und Direktors der Reismann-Oberschule, Dr. Friedrich Bock, aus den Kriegsjahren deutlich.
Das von der Familie des 1899 in Essen geborenen und 1972 in Hagen gestorbenen Pädagogen lange für „verschollen“ gehaltene Tagebuch wurde Ende der neunziger Jahre zufällig in einem alten Schreibtisch entdeckt. Der Sohn des früheren Reismann-Schulleiters, Dr. Helmut Bock, entschloss sich dazu, den historisch aufschlussreichen Fund zu veröffentlichen. Das „Paderborner Tagebuch 1939-1945“ ist als Band 18 der vom Verein für Geschichte an der Universität Paderborn herausgegebenen Reihe „Paderborner Historische Forschungen“ erschienen.
Im Kreis von historisch interessierten Besuchern – darunter einem Grundkurs „Sozialwissenschaften“ der Jahrgangsstufe 11 des Reismann-Gymnasiums – ist das Tagebuch Friedrich Bocks an dessen ehemaliger Schule jetzt vorgestellt worden. Dessen Sohn Helmut Bock (79), der den Aufzeichnungen einen ausführlichen, angemessen distanzierten und kritischen Einleitungsteil unter dem Titel „Späte Fragen an meinen Vater“ vorangestellt hat, erläuterte die Beweggründe der Familie, die privaten Notizen des Vaters der Öffentlichkeit zugänglich zu machen: „Wir fühlen uns der nachfolgenden Generation verpflichtet, das Tagebuch zugänglich zu machen“, betonte er. „Wir möchten die Ambivalenz des Lebens in dieser autoritären Zeit offenlegen.“
In der Familie sei in der Nachkriegszeit, ähnlich wie in großen Teilen der Gesellschaft, über die Zeit der Hitler-Diktatur kaum gesprochen worden. „Die Vergangenheit wurde gut zwanzig Jahre lang unter den Teppich gekehrt“, erinnert sich Helmut Bock. „Zu erfahren, dass mein Vater damals Parteifunktionen übernommen hatte, war für mich ein Schock.“ Bei der Lektüre des Tagebuchs werde aber deutlich, dass sich die Einstellung seines Vaters zum NS-Regime im Laufe der Jahre deutlich gewandelt habe.
Der in einem konservativ geprägten Elternhaus aufgewachsene und deutsch-national gesinnte Friedrich Bock war acht Jahre lang Lehrer an einer deutschen Schule in Sofia (Bulgarien), bevor er 1938 nach Deutschland zurückkehrte. Ihm wurde eine Lehrerstelle am Gymnasium Theodorianum in Paderborn zugewiesen. 1941 übernahm Bock die Leitung der Reismann-Oberschule. Der 1937 der NSDAP beigetretene Mathematiker und Naturwissenschaftler diente der Partei als einer von vier Paderborner Ortsgruppenleitern. Nach dem Zweiten Weltkrieg verlor er seine Schulleiterstelle und schlug sich zum Teil als Nachhilfelehrer durch. Sein prominentester Schüler in dieser Zeit war der spätere Computerpionier Heinz Nixdorf. In den fünfziger Jahren konnte Friedrich Bock dann seine Lehrertätigkeit wieder aufnehmen. Seine Dienstzeit beendete er als Direktor eines Jungengymnasiums in Hagen.
In seinen Tagebuchaufzeichnungen wird die zunehmende Distanz zum NS-Regime und dessen Kriegsführung deutlich. „Den braunen Kram bin ich gründlich leid“, schreibt Friedrich Bock im März 1942. Und ein Jahr später kommentiert er das bevorstehende Ende seiner Funktionärstätigkeit mit den Worten: „Ich muss sagen, dass mir die Aussicht, von diesem Posten fortzukommen, ein erlösender Gedanke ist. Ein Schritt zum inneren Frieden.“
Auch die Erfahrung von nationalsozialistischen Gräueltaten gegenüber behinderten Menschen und die Auswüchse des Holocausts dürften die frühere Begeisterung für den Hitler-Staat getrübt haben. „Abends zu Franz Tilly, der aus Minsk zurück ist“, notiert Friedrich Bock am 30. März 1943. „Er erzählte von den fürchterlichen ‚Aktionen‘, d.h. von den systematischen Beseitigung der Juden. Es graust und schaudert einem und ekelt einen an.“